Tages-Anzeiger - Dienstag 7. Juni 2022
Klimawandel Was die Schweizer Landwirtschaft produziert, bestimmen auch die Temperaturen – und die steigen. Mit welchen Folgen? Ein Augenschein im Aargauer Freiamt.
Eva Novak und
Edith Hollenstein (Text)
und Anna-Tia Buss (Fotos)
Wenn der Frühling das Mittelland bei 30 Grad schwitzen lässt, wird der Klimawandel spürbar. Sichtbar nicht unbedingt, zumindest nicht auf den ersten Blick. Das Feld hinter der Reuss bei Rottenschwil im aargauischen Freiamt wirkt mit seinen Dämmen ganz so, als würden Kartoffeln angebaut. Doch der Traktor, der im Schneckentempo durch die Furchen fährt, passt nicht ins Bild. Am Traktor hängt eine Maschine, darauf sitzen vier Leute, die Setzlinge in sich drehende Behälter einfüllen. Das sind keine Kartoffeln. Die müssten Ende Mai längst in der Erde sein. Und die müssen auch nicht so kompliziert gesetzt werden. Was da zwischen Mais und Weizen angepflanzt wird, sind Süsskartoffeln. Je wärmer es wird, desto besser gefällt es dem Gemüse aus dem tropischen Südamerika in der Schweiz. Mit seiner Namensvetterin hat es wenig gemein: Die Kartoffel ist mit der Tomate, Peperoni und Aubergine verwandt, die Süsskartoffel mit der Ackerwinde, einem von Bäuerinnen und Hobbygärtnern gleichermassen gefürchteten Unkraut.
360’000 Setzlinge pro Jahr Jungbauer Sebastian Hagenbuch geht hinter der Maschine her. Erteilt per Handy Anweisungen, wohin die nächste Ladung Setzlinge gebracht werden soll. Ruft dem Traktorfahrer zu, er solle langsamer fahren, einige Jungpflänzchen hätten sich in der Maschine verklemmt. Zur Journalistin sagt er: «Süsskartoffeln sind mein Baby.» Die ersten baute er als Agronomiestudent für seine Bachelorarbeit an. Seitdem haben ihn die süssen Wurzelknollen nicht mehr losgelassen. Heuer geht seine Beziehung mit den Süsskartoffeln ins verflixte siebte Jahr, und aus den anfänglich 3000 Setzlingen sind 360’000 geworden, mit denen Sebastian Hagenbuch und sein Cousin Christoph 10 Hektaren bepflanzen. Damit gehören die beiden Betriebe der Hagenbuchs zu den grössten Produzenten im Land. Das lässt sich aber nur vermuten, denn Daten sind rar. Nischenkulturen seien «nur teilweise statistisch erfasst», heisst es beim Schweizerischen Bauernverband. Das Bundesamt für Landwirtschaft muss ebenfalls passen. Über die Kartoffel führt die Branchenorganisation Swisspatat penibelst Buch. Sie kann nicht nur sagen, wie sich Anbaufläche, Erntemenge und Anzahl Produzenten seit 1955 entwickelt haben. Sie kennt auch die Entwicklung der Anbauflächen von fast 50 Sorten, von Annabelle über Jelly bis zu Sunshine. Für die Süsskartoffel fühlt sich Swisspatat nicht zuständig: Agronomisch gesehen sei diese keine Kartoffel, sondern ein Gemüse. Der Gemüseproduzenten-Verband kann auch nur teilweise weiterhelfen. Die Anbaufläche habe sich in den letzten fünf Jahren von rund 20 auf etwa 80 Hektaren vervierfacht, schätzt Sprecher Markus Waber. Zu den Erntemengen aber hat er keine Zahlen. Bei einem Ertrag von 15 Tonnen pro Hektare, wie er in guten Jahren winkt, wären das insgesamt 1200 Tonnen. Es ist fast wie im Wilden Westen. Wer es wagt, der macht. Vorschriften gibt es so gut wie keine. Goldgräberstimmung, Pioniergeist. Sebastian Hagenbuch schwärmt von der unternehmerischen Freiheit, welche die Süsskartoffel dem Bauern bietet. Es gebe weder eine Branchenorganisation noch bis ins letzte Detail ausgetüftelte Regeln. Von den übrigen Zweigen des 44-Hektaren-Betriebs, den der 33-Jährige mit seinen Eltern bewirtschaftet, lässt sich das nur bedingt behaupten. Kartoffeln, Mais, Weizen, Gerste, Raps – bei all dem lässt sich das Rad ebenso wenig neu erfinden wie bei der Muni- und Schweinemast, die Hagenbuchs ebenfalls betreiben.
Starkes Wurzelsystem Immerhin: Der Bauernverband unterstütze den Anbau von Pflanzen, welche mit weniger Wasser auskämen, versichert Sprecherin Sandra Helfenstein. Dazu gehört auch die Süsskartoffel. Wasser brauchen jetzt die Setzhelfer auf Hagenbuchs Süsskartoffelfeld. Sie sind seit knapp zwei Stunden an der Arbeit. Das Thermometer hat die 30-Grad-Marke geknackt, der Schweiss rinnt in immer breiteren Fäden. Die Süsskartoffel hingegen kann warten. Sie mag es heiss. Nach dem Setzen wird das Feld gründlich bewässert, damit die Pflänzchen anwachsen können. Dann ist für viele Wochen Ruhe. Dank des starken Wurzelsystems nimmt der Exot Wasser aus tieferen Erdschichten auf und kommt auch bei längerer Trockenheit ohne zusätzliche Bewässerung klar. Die Kartoffel hingegen kriegt bereits ab 25 Grad Hitzestress und braucht regelmässig Wasser, damit Erntemenge und -qualität stimmen. Pflanzen mit geringem Wasserbedarf gehört die Zukunft – wenn sich die Prognose des Berichts zur Wasserversorgungssicherheit bewahrheitet, den der Bundesrat kürzlich verabschiedet hat: «Saisonal und regional begrenzt wird es vermehrt zu Wasserknappheit kommen. Treiber sind der Klimawandel und der dadurch zunehmende Wasserbedarf für die landwirtschaftliche Bewässerung.»
Noch keine Schädlinge Dass die Süsskartoffel weniger Dünger und Chemie benötigt als alle anderen Produkte der Hagenbuchs, ist ebenfalls von Vorteil. Der Neuling auf Schweizer Feldern profitiert davon, dass sich hierzulande noch keine Schädlinge auf ihn spezialisiert haben – lediglich die üblichen Plagegeister wie Schnecken oder Wühlmäuse. Zugelassen ist ein einziges Spritzmittel zur Unkrautbekämpfung. Das reicht aber nicht, es muss zusätzlich gehackt und gejätet werden. Die Kultur bleibt arbeitsintensiv, obschon Hagenbuchs sie nach Möglichkeit mechanisiert haben. Seit Christoph Hagenbuch eine spezielle Erntemaschine entwickelt hat, reichen 10 Personen, um die empfindlichen Knollen schonend aus der Erde zu holen. Davor brauchte es 30. Schon das Setzen verlangt den helfenden Händen und Füssen einiges ab. Auf dem Feld bei Rottenschwil legen Sebastian Hagenbuch und seine Helfer an einem einzigen Tag zehn Kilometer zurück, in der engen Furche balancierend. Billig ist das Süsskartoffelbauernleben auch nicht. Allein die Setzlinge kosten rund 20’000 Franken pro Hektare. Dazu braucht es spezielle Maschinen und spezielle Räume, in denen die Bataten nach der Ernte bei hoher Luftfeuchtigkeit gelagert werden, um die Schale zu verfestigen und den süssen Geschmack zu verstärken. «Es ist eine schwierige Kultur, an der sich viele die Finger verbrannt haben», sagt Christoph Gubler. Der Gemüsebauberater hat die Schweizer Arbeitsgruppe Süsskartoffeln gegründet, welche sich regelmässig zum Erfahrungsaustausch trifft. Dass der Klimawandel in der Landwirtschaft angekommen ist, nehmen die Branchenorganisationen erst nach und nach zur Kenntnis. Grosse Veränderungen beim Anbau der Produkte habe es bisher nicht gegeben, erklärt Bauernverband-Sprecherin Helfenstein. Lediglich «im kleinräumigen Sinn» habe sich die Möglichkeit für den Anbau von eher wärmeliebenden Pflanzen wie Süsskartoffeln oder Quinoa erhöht. Die Süsskartoffel gehört wie Quinoa oder Melonen zu den neuen Produkten, mit denen die Schweizer Bauern schrittweise auf den Klimawandel reagieren. Doch was, wenn die sommerliche Wärme mal ausbleibt? Im kühlen, verhagelten und verregneten Sommer 2021 konnten die Hagenbuchs weniger als die Hälfte der üblichen Süsskartoffelmenge ernten, je nach Feld waren es gar bis zu 80 Prozent weniger als in einem guten Jahr. Den Kartoffeln aber setzten die Überschwemmungen teilweise noch stärker zu: Da gab es auf einigen Feldern Totalausfälle.
Markt ist nahezu gesättigt Wenn es heuer ein schöner Sommer wird, dann können Hagenbuchs bis zu 150 Tonnen schöne Süsskartoffeln ernten. Schön heisst: 200 bis 900 Gramm schwer, ansehnlich geformt, von keiner Maus oder Schnecke angeknabbert, von keinem Wurm durchbohrt, ohne Bruchstellen
und von verlockend oranger Farbe. Solche Kartoffeln landen dann in der Migros oder im Volg-Laden im Regal. Der weniger hübsch geratene Rest wird an Christoph Hagenbuchs Mutterkühe verfüttert. Das Interesse der Konsumenten sei gross, doch der Markt inzwischen nahezu gesättigt, sagen die Süsskartoffelbauern. Dazu tragen auch die Importe bei: Den geschätzt 1200 Tonnen einheimischer Kartoffeln stehen mehr als 5800 Tonnen gegenüber, die gemäss Aussenhandelsstatistik 2021 vorab aus den USA, aus Spanien und Ägypten eingeführt wurden. In Rottenschwil ist es Abend geworden. Das Feld ist bestellt und bewässert, der erste von acht Setztagen überstanden, die Laune trotz Hitze gut. «Setzen ist für mich wie Yoga», meint eine Helferin.
Morgen geht die Arbeit weiter. Und dann? Dann soll es bald Sommer werden. Heiss und lang.
Quelle: Tages-Anzeiger
https://www.tagesanzeiger.ch/wie-der-klimawandel-unsere-felder-veraendert-875482353241
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Hunziker (Mittwoch, 19 Oktober 2022 11:52)
Vielen Dank dass in einem Restaurant, das sich Burehof nennt, Hunde nicht erlaubt sind. Das heisst dass Sie einen potentiellen Gast weniger haben. Aber die Gastronomie ist ja dauernd am jammern!